Keine Inanspruchnahme des Grundstückseigentümers für die Beräumung einer stillgelegten Altreifendeponie
Die materiellrechtliche Prüfung der abfallrechtlichen Anordnung der Beräumung einer Altreifendeponie am Maßstab bundes- und landesabfallrechtlicher Ermächtigungsgrundlagen in Abgrenzung zum Bodenschutzrecht sowie immissionsschutzrechtlichen Eingriffsbefugnissen ist Gegenstand einer gerichtlichen Entscheidung mit ausführlicher Begründung des Thüringer Oberverwaltungsgerichts (Thür. OVG, Urteil vom 26.03.2013 – 3 KO 843/07). Das Urteil ist eine Fundgrube für eine Vielzahl von rechtlichen Gesichtspunkten, die bei der Störerauswahl nach speziellem Fachgesetz und allgemeinem Ordnungsrecht sowie unter Beachtung der Grundsätze der Verhältnismäßigkeit bei der Begrenzung der Zustandshaftung des Grundstückseigentümers zu berücksichtigen sind.
Die Klägerin hatte die streitgegenständlichen Grundstücke im Jahre 1995 in Kenntnis der vorherigen Nutzung als Deponieflächen und der dort vorhandenen Ablagerung von erheblichen Mengen Altreifen erworben. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 27.05.1998 war ihr aufgegeben worden, in dem Altreifenlager Brandgassen herzustellen und die auf den Grundstücken befindlichen Altreifen zu entsorgen. Die Klägerin hatte die Anordnung vom 27.05.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.06.2002 angefochten und gegen das klageabweisende Urteil des Verwaltungsgerichts Weimar vom 02.08.2006 – 7 K 1108/02 – Berufung eingelegt. Mit Urteil vom 26.03.2013 – 3 KO 843/07 wurde die streitige Anordnung durch das Thür. OVG aufgehoben.
Für die Begründetheit der Klage wird in der Entscheidung des Thür. OVG unter Berücksichtigung der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) für den maßgeblichen Zeitpunkt bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit auf den Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, im vorliegenden Fall auf den Erlass des Widerspruchsbescheides vom 26.06.2002, abgestellt.
Das Gericht prüft im Folgenden, auf welche Vorschriften die angefochtene Anordnung gestützt werden konnte.
– Zunächst werden dazu die Vorschriften des Bundesbodenschutzgesetzes (BBod-SchG) geprüft. Das Gesetz ist am 01.03.1999, d.h. also bereits vor dem Erlass des Widerspruchsbescheids, in Kraft getreten. Jedoch seien die Vorschriften des BBodSchG im vorliegenden Fall nicht einschlägig. Dazu seien nämlich die Voraussetzungen nach § 36 Abs. 2 Satz 2 Kreislaufwirtschafts-/Abfallgesetz (KrW-/AbfG) (nunmehr § 40 Abs. 2 Satz 2 Kreislaufwirtschaftsgesetz), nach der das Rechtsregime vom Abfallrecht zum Bodenschutzrecht vollständig wechsele, nicht erfüllt. Dabei konnte das Gericht die Frage, ob die in § 36 Abs. 2 Satz 2 KrW-/AbfG genannte Voraussetzung „Verdacht einer schädlichen Bodenveränderung“ lediglich den Anfangsverdacht im Sinne von § 9 Abs. 1 BBodSchG oder einen hinreichenden Verdacht nach § 9 Abs. 2 BBodSchG voraussetzt, dahinstehen lassen, weil in dem zu entscheidenden Fall noch nicht einmal der Anfangsverdacht einer schädlichen Bodenveränderung oder sonstigen Gefahr im Sinne des BBodSchG bestand. Denn die Brandgefahr und die mit dem Ausbruch eines Brandes verbundenen weiteren Gefahren wiesen einen Bezug zu dem Schutzzweck dieses Gesetzes nicht auf. Solche oder vergleichbare Gefahren gingen von den auf den Grundstücken der Klägerin gelagerten Altreifen nicht aus.
– Die angefochtene Anordnung lässt sich nach den Entscheidungsgründen auch nicht auf Bestimmungen des KrW-/AbfG stützen.
§ 36 Abs. 2 Satz 1 KrW-/AbfG scheide als Grundlage für ein Einschreiten gegen die Klägerin aus. Nach dieser Vorschrift soll die zuständige Behörde den Inhaber einer Deponie dazu verpflichten, alle Vorkehrungen zu treffen, die erforderlich sind, Beeinträchtigungen des Wohls der Allgemeinheit zu verhüten. An der umfassenden Anordnungskompetenz nach dieser Vorschrift habe sich auch nichts Wesentliches durch deren Neufassung infolge des Gesetzes vom 27.07.2001 geändert. Mit der Neufassung werde die umfassende Kompetenz der zuständigen Abfallbehörde zum Erlass sämtlicher Anordnungen zur Abwehr der von der Deponie ausgehenden Gefahren sowie zu entsprechenden Vorsorgemaßnahmen weiter präzisiert. Davon seien auch Sicherungsmaßnahmen erfasst, durch die die Entstehung und Ausbreitung von Bränden auf der stillgelegten Deponie verhindert sowie die Brandbekämpfung erleichtert werden sollen. Die Klägerin war jedoch zu keinem Zeitpunkt Inhaber der stillgelegten Altreifendeponie. Inhaber einer Deponie sei nach der Rechtsprechung des BVerwG derjenige, der für die Deponie rechtlich und tatsächlich verantwortlich ist. Dies ist der Betreiber, also derjenige, der bei Bekundung der Stilllegungsabsicht oder dem Zeitpunkt der tatsächlichen Stilllegung die Betreiberstellung inne hatte. Damit unterliege der Grundstückseigentümer, der nicht selbst Betreiber der Deponie ist, nicht den abfallrechtlichen Anforderungen an den Deponieinhaber. Deswegen könne die Klägerin als Grundstückseigentümerin auch nicht Adressatin einer auf § 36 Abs. 2 KrW-/AbfG gestützten Anordnung sein.
Für eine Inanspruchnahme der Klägerin komme auch nicht § 21 Abs. 1 KrW-/AbfG in Betracht, der die Inanspruchnahme anderer Personen nach anderen Rechtsvorschriften ermögliche. Insoweit verdränge nämlich die speziellere Regelung in § 36 Abs. 2 KrW-/AbfG die als Auffangtatbestand anzusehende abfallrechtliche Generalklausel in § 21 Abs. 1 KrW-/AbfG.
– Als Ermächtigungsgrundlage für die streitgegenständliche Beräumungsanord-nung könne auch nicht § 20 Abs. 2 Satz 1 Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) in Betracht gezogen werden, weil die Altreifendeponie zwar ohne die erforderliche Genehmigung betrieben, jedoch bereits vor längerer Zeit stillgelegt worden sei. Für eine auf § 20 Abs. 2 Satz 1 BImSchG gestützte Stilllegungsanordnung und damit verbundene Beräumungs-anordnung bleibe deswegen kein Raum. Auch insoweit käme als Adressat einer derartigen Anordnung nur der Betreiber, nicht aber der Grundstückseigentümer in Betracht.
– Nach den Entscheidungsgründen kann die streitgegenständliche Verfügung aber grundsätzlich auf die Bestimmungen des Thüringer Abfallwirtschafts- und Altlastengesetzes (ThürAbfAG) gestützt werden. Zwar habe der Bundesgesetzgeber umfassend von seiner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz bei dem Erlass des KrW-/AbfG Gebrauch gemacht. Die bundesrechtliche Regelung in § 36 Abs. 2 KrW-/AbfG lasse jedoch nach überwiegender Auffassung in Rechtsprechung und Literatur nicht erkennen, dass damit landesabfallrechtliche Regelungen ausgeschlossen sein sollten, die zur Anordnung gegenüber anderen Personen als dem vorrangig verantwortlichen Inhaber der Deponie, wie hier etwa dem Grundstückseigentümer, ermächtigen.
Soweit der Beklagte die streitgegenständliche Anordnung zunächst auf § 12 Abs. 2 Satz 1 ThürAbfAG 1991 gestützt hat, setzte diese Bestimmung das unzulässige Betreiben einer Anlage voraus und knüpfte daran die Rechtsfolge der Stilllegung. Nachdem der Betrieb der Altreifendeponie schon seit Ende 1993 eingestellt worden war, war der wesentliche Anwendungsbereich dieser Bestimmung, wie zuvor bei § 20 Abs. 2 BImSchG dargelegt, obsolet geworden. Darüber hinaus war diese Bestimmung durch Gesetzesänderungen zum Zeitpunkt der Vollziehung der Anordnung in 1998 bereits überholt.
Als einschlägige Rechtsgrundlage für die streitgegenständliche Anordnung sei allein § 12 Abs. 2 Satz 1 ThürAbfAG 1999 in Betracht zu ziehen. Die Voraussetzungen für ein Vorgehen nach dieser Bestimmung sind von dem Thür. OVG bejaht worden, weil eine hinreichend konkrete Gefahr vorgelegen habe. Wenn es vor Anlegung der Brandgassen zu einem Brand gekommen wäre, hätte dieser sich kaum wirksam bekämpfen lassen. Angesichts der zu befürchtenden Beeinträchtigung wichtiger Schutzgüter dürften die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit eines Schadeneintritts in diesem Fall nicht überspannt werden. Schließlich hätte der Ausbruch eines Brandes als Folge einer Brandstiftung nicht ausgeschlossen werden können.
Einer abschließenden Entscheidung durch das Thür. OVG, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen für ein Einschreiten des Beklagten auf der Grundlage von § 12 Abs. 2 ThürAbfAG vorgelegen hätten, bedurfte es jedoch nicht, da sich die angefochtene Anordnung als rechtswidrig erweise, weil die Störerauswahl des Beklagten ermessensfehlerhaft gewesen sei. Gegen wen die Behörde eine auf § 12 Abs. 2 ThürAbfAG gestützte Maßnahme zu richten habe, folge aus den in Bezug genommenen Bestimmungen des Ordnungsbehördengesetzes. Insoweit kämen als Adressaten neben dem Gefahrenverursacher auch der Inhaber der tatsächlichen Gewalt oder der Eigentümer der Sache in Betracht.
Letztlich habe sich die angefochtene Anordnung aber als ermessensfehlerhaft erwiesen, weil der Beklagte die aus Artikel 14 Abs. 1 Grundgesetz folgenden Grenzen der Zustandshaftung des Eigentümers für die Grundstückssanierung bei Altlasten nicht hinreichend beachtet habe. Insoweit wird auf die Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts (Urteil vom 16.02.2000 – 1 BvR 242/91 und 1 BvR 315/99) Bezug genommen. Die von Verfassungs wegen grundsätzlich nicht zu beanstandende Zustandshaftung könne im Ausmaß durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit begrenzt sein. Diese verfassungsrechtlichen Überlegungen zeigten, dass eine Inanspruchnahme des Pflichtigen über den als Orientierungsgrenze geltenden Verkehrswert hinaus nur unter sehr engen Voraussetzungen möglich sei. Die mit dem Erwerb des Grundstücks verbundene Risikoübernahme habe nicht zur Folge, dass die erforderliche Abwägung zwischen den schutzwürdigen Eigentümerinteressen mit den Belangen der Allgemeinheit unterbleiben könne. Auch in den Fällen, in denen eine Kostenbelastung über den Verkehrswert hinaus an sich zumutbar sei, habe die Verwaltung eine Abwägungsentscheidung nach den dargestellten Maßstäben zu treffen. Das Landesverwaltungsamt hätte in seine Ermessenserwägungen die verfassungsrechtlichen Grenzen der Zustandshaftung der Klägerin einstellen und dabei im Rahmen der Verhältnismäßigkeit die entsprechende Abwägung zwischen der Belastung der Klägerin als Grundstückseigentümerin mit den betroffenen Gemeinwohlbelangen vornehmen müssen. Soweit es an der gebotenen Abwägung fehle, sei die abfallrechtliche Anordnung in der Gestalt des Widerspruchsbescheids ermessensfehlerhaft und deswegen aufzuheben.